
In diesem Artikel möchte ich euch näher bringen weshalb positive Verstärkung nicht unbedingt etwas mit Futter zu tun haben muss und eine Strafe nicht gleich die Anwendung von Schlägen und Stromhalsbändern bedeutet. Dafür steigen wir kurz in die Lerntheorie ein:
Konditionierung ist eine Form des Lernens, wobei es sich um so genanntes Assoziationslernen handelt. Es wird dabei unterschieden zwischen klassischer, operanter und instrumenteller Konditionierung.
Bei der klassischen Konditionierung wird ein Reiz, der zuverlässig eine Reaktion/Reflex hervorruft (der lernende Organismus hat dabei keine Kontrolle über den Reiz und die von ihm ausgelöste Reaktion) mit einem weiteren Reiz verknüpft, der diese Reaktion ursprünglich nicht hervorruft. Das kennt mittlerweile fast jeder vom Clicker-Training. Nach wenigen Wiederholungen von Click-Futter, löst das Click-Geräusch im Hund freudige Futtererwartung aus.
Bei der operanten Konditionierung wird ein zufällig ausgeführtes, nicht zielgerichtetes Verhalten durch angenehme oder unangenehme Konsequenzen in seiner Häufigkeit nachhaltig verändert. Das könnt ihr euch am Beispiel der Leinenführigkeit vorstellen. Der Hund läuft vor und kurz bevor er zieht, bekommt er etwas in die Nase und schnüffelt zur Seite, wodurch die Leine wieder entspannt wird. Dieser Moment kann dann sofort zum Zeitpunkt der sich lockernden Leine mit einer angenehmen Konsequenz von euch verstärkt werden. Oder ihr sorgt für eine angenehme Konsequenz bevor der Hund überhaupt zum Ziehen kommt.
Die instrumentelle Konditionierung unterscheidet sich von der operanten nur insofern, als dass hierbei das gezeigte Verhalten als Instrument zum Erreichen einer bestimmten Konsequenz dient. Als Beispiel könnt ihr euch hier vorstellen, dass euer Hund das Ziel hat eine Distanzvergrößerung zu anderen Lebewesen/Dingen zu erreichen, weil er sich eventuell fürchtet. Dafür nutzt er beispielsweise das Instrument Bellen - er hat gelernt, dass sich die meisten Lebewesen dadurch von ihm entfernen oder zumindest einen gewissen Radius einhalten.
Innerhalb der operanten und instrumentellen Konditionierung werden vier Arten von Konsequenzen unterschieden:
Positive Verstärkung
- etwas Angenehmes wird hinzugefügt -> Emotion 😊
Negative Verstärkung
- etwas Unangenehmes wird entfernt -> Emotion 😊
Positive Strafe
- etwas Unangenehmes wird hinzugefügt -> Emotion ☹
Negative Strafe
- etwas Angenehmes wird entfernt -> Emotion ☹
Nun kommen wir zu dem spannenden Teil mit der praktischen Umsetzung im Alltag. Wie zu Beginn bereits erwähnt ist eine positive Verstärkung nicht automatisch gleichzusetzen mit dem Geben von Futter oder eine positive Strafe ist nicht nur Schlagen, Treten, Kneifen. Davon machen wir unsere Gedanken jetzt frei und tauchen ein in die alltägliche Welt der Konditionierung.
Fassen wir nochmal zusammen: Positiv - etwas kommt hinzu. Negativ - etwas wird entfernt. Nicht zu verwechseln mit positiven oder negativen Emotionen oder sonstigem, es geht rein um das Zufügen oder Entfernen von etwas. Verstärkung - angenehme Konsequenz, Verhalten wird verstärkt. Strafe - unangenehme Konsequenz, Verhalten wird abgeschwächt. Ok – los geht’s:
Ich gehe mit meinem Hund an einem Grundstück vorbei, auf dem ein wild tobender Hund sehr deutlich kommuniziert, was er davon hält, dass wir seine Individualdistanz unterschreiten und uns seinem Territorium nähern. Mein Hund würde ganz gerne das Weite suchen, ich jedoch laufe einfach weiter in die Richtung des tobenden Artgenossen, denn ich weiß ja, dass weder wir dem anderen Hund etwas tun wollen, noch dass dieser uns gefährlich werden kann. Mein Hund weiß das aber nicht und somit ist genau das weiter reinlaufen in die Situation eine positive Strafe - ich füge meinem Hund (und dem anderen ebenfalls) etwas Unangenehmes hinzu. Drehe ich allerdings um oder laufe einen Bogen, vergrößere also die Distanz und nehme somit das unangenehme weg, befinde ich mich in der negativen Verstärkung. Erkenne ich also früh genug, ab wann mein Hund die ersten Anzeichen für Unwohlsein zeigt und ich entferne dann den Auslöser dafür (hier Distanzvergrößerung zum Grundstück mit tobendem Hund) dann lernt mein Hund, diese kleinen Anzeichen vermehrt zu zeigen und muss sich nicht erst in Pöbeleien verstricken, damit das Unangenehme wegfällt, denn die kleinen Zeichen reichen ja bereits aus. Gehe ich an dem Grundstück ohne Bogen vorbei, dann erfolgt die Distanzvergrößerung (und somit die negative Verstärkung!) erst in dem Moment, wenn wir vorbei sind und die Hunde lernen daraus, dass sie die Situation überstanden haben, weil sie mächtig Rabatz gemacht haben. Was beim nächsten Mal folgt, könnt ihr euch mittlerweile sicherlich selber beantworten.
Das mit der positiven Verstärkung können wir uns am Beispiel des Rückrufs veranschaulichen. Mein Hund sieht einen anderen Hund und möchte jetzt sofort dort hin stürmen. Ich rufe und mein Hund kommt zu mir - hier wäre nun die beste positive Verstärkung für das zu mir kommen, dass er sofort die Freigabe erhält zu dem anderen Hund hinzulaufen, denn das ist es ja was er gerade am Meisten möchte. Achtung: das gilt nur dann, wenn das Hinlaufen für meinen Hund angenehm ist. Das Hinlaufen wird selbstverständlich nur nach Absprache mit dem anderen Hundehalter freigegeben! Ist mein Hund in solchen Situationen alleine überfordert, dann wäre eine gute positive Verstärkung, dass er bei mir Schutz erhält und wir uns dann entweder gemeinsam annähern oder eben lieber die Distanz vergrößern (womit wir in die negative Verstärkung wechseln) oder auch einfach nur gemeinsam beobachten. Ich kann auch ein Spiel initiieren, vielleicht ein Rennspiel um die Energie des „hin stürmen Wollens“ herauszulassen und gleichzeitig in die (aus Menschensicht) richtigen Bahnen zu lenken. Natürlich kann ich auch Futter geben, das ist bei einem hohen Motivationsgrad aber oft nicht das was mein Hund jetzt gerade begehrt. Eine positive Verstärkung ist also alles was für euren Hund in dem Moment angenehm ist.
Wenn ihr jetzt gerade etwas tut, was euer Hund als angenehm empfindet und ihr hört auf damit, nehmt das also weg, dann ist das eine negative Strafe. Das ist gut am Beispiel der Beißhemmung zu erklären. Ist mein Hund im Umgang mit seinen Zähnen im Spiel manchmal etwas zu übermütig und der Spielpartner unterbricht dann das Spiel, weil es zu heftig war, lernt der Hund das vorangegangene Verhalten abzuschwächen. Das heißt er ist beim nächsten Mal vorsichtiger. Außer er empfindet das Spiel als unangenehm, dann stellt der Abbruch dessen natürlich eine negative Verstärkung dar und das Verhalten verstärkt sich somit -> er beißt noch doller zu.
Nun wissen wir also, wie verschieden die Verstärker und Strafen wirken und dass sie in einem anderen Kontext sehr plötzlich wechseln können. Es geht immer darum was mein Hund jetzt gerade als angenehm oder unangenehm empfindet und das hinzufügen oder entfernen dessen entscheidet über eine Verstärkung oder Abschwächung des vorangegangenen Verhaltens. Das passiert den ganzen Tag über und in jeder Situation. Daher ist es so wichtig die Bedürfnisse unserer Hunde erkennen und deuten zu können. Wenn wir uns auf unsere Intuition verlassen und uns führen lassen, dann spüren wir was gebraucht wird. Der Hund und unser Bauchgefühl geben uns unmittelbar die Antwort.
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